Fasten ist Achtsamkeit und wach sein

Fasten ist Achtsamkeit und wach sein

Auf vielen Reisen war ich unachtsam. Das kommt davon, weil ich meistens schnell irgendwo ankommen wollte und weil ich ein bestimmtes Ziel hatte, auf das ich fixiert war. Dabei habe ich alles das, was neben mir passierte, nicht wahrgenommen. Es ist viel besser, sich fahren zu lassen, als selbst zu fahren. Dann kann man sich besser umschauen und muss nicht angestrengt und genervt durch den dichten Verkehr steuern. Selbst fahren befriedigt zwar das Ego viel besser, weil ich dann der Ansicht bin, alles selbst im Griff zu haben, selbst die Richtung und das Tempo vorgeben zu können, doch das ist ein Trugschluss. Wenn man sich dem Lebensrhythmus anpasst, kommt man mindestens genauso schnell voran und kann sich dabei noch umschauen. Vielleicht gibt es am Wegrand ja noch viel Interessanteres zu sehen, als man sich vorgestellt hat. Achtsamkeit heisst auch, seinen Mitmenschen besser zuzuhören, in den Augen lesen, auf die Gestik und Mimik achten. Besonders wir MĂ€nner mĂŒssen das lernen. Eine Reise zu mir selbst heisst nicht, mich auf mein Ego zu konzentrieren und ichbezogen zu sein. Es heisst, ganz im Gegenteil, von der Ichbezogenheit wegzukommen, sich auf anderes einzulassen und die Zeichen des Lebens zu erkennen.

Beim Fasten kann ich spĂŒren, welche Zeichen mir mein Körper sendet und werde sensibler fĂŒr viele Dinge. Ich nehme mir die Zeit, genauer hinzuhören als sonst, meine Umwelt und mein innerstes stĂ€rker wahrzunehmen. Es geht bei der Achtsamkeit nicht um VerĂ€nderung, sondern um das SpĂŒren, das Wahrnehmen des Augenblicks ohne Beurteilung. Man kann den Augenblick wahrnehmen, aber nicht verĂ€ndern. Übrigens können wir nur den Augenblick wahrnehmen, nichts anderes. Wenn wir aber im Augenblick mit unseren Gedanken in der Vergangenheit oder Zukunft sind, haben wir den Augenblick schon verpasst und damit auch die Gelegenheit, das Leben zu spĂŒren. Der SiebzigjĂ€hrige Yogi Swami Satchidananda sagt, wĂ€hrend er ĂŒber die Wellen Hawaiis reitet: „Du kann die Wellen nicht stoppen, aber du kannst lernen, Sie zu reiten.“ Im Buddhismus ist die Achtsamkeit auch eine formelle Meditation. Aber im Prinzip geht es darum, immer achtsam zu sein. Das setzt Wachsamkeit voraus. Achtsamkeit ist eine Haltung und jede TĂ€tigkeit kann zur Achtsamkeit anregen: waschen, essen, duschen, kochen, arbeiten, warten, schreiben, unterhalten, diskutieren, Tennis spielen und alle anderen tĂ€glichen TĂ€tigkeiten. Eigentlich braucht es fĂŒr die Achtsamkeit keiner besonderen Kraftanstrengung, auch keiner Zeit oder besonderer MĂŒhen und eines Zieles. Ich kann nicht achtsam im Augenblick sein und gleichzeitig ein bestimmtes Ziel verfolgen, das ist Unmöglich. Trotzdem ist diese Praxis fĂŒr uns schwer, weil wir meistens in Gedanken versunken oder uns in PlĂ€nen verstrickend gerade nicht im Augenblick befinden. Achtsamkeit ist auch keine Methode, man braucht es nicht erlernen, jeder kann es machen - aber man muss es wohl ĂŒben. Eine Fastenwoche ist ein möglicher Einstieg in Achtsamkeit und Wachheit.

Immer wenn ich keine Energie mehr in mir spĂŒre, merke ich, wie unachtsam ich bin. Ich schenke den Wundern des Lebens keine Beachtung, kann mich nicht konzentrieren, bin nicht dabei. Dann merke ich, dass Achtsamkeit noch nicht meine Wesenheit ist und dass ich mich dafĂŒr verabreden muss. Ein großer Zen-Meister, Thich Nhat Hanh, erinnert an diese einfache Aufgabe:: „Du hast eine Verabredung mit dem Leben. Diese findet im gegenwĂ€rtigen Augenblick statt. Wenn du diesen Augenblick verpasst, verpasst du deine Verabredung mit dem Leben. Das ist ganz einfach, ganz klar.“ Ich muss mich an meine Verabredung mit dem Leben erinnern und stelle fest, wie oft ich meine Verabredung nicht einhalte. Solange ich mich erinnern lassen muss, solange muss ich ĂŒben, meine Verabredung einzuhalten. Dabei staune ich, wie geduldig doch das Leben ist. Einen wie mich, hĂ€tte ich selbst schon lange die rote Karte gezeigt und als einen unzuverlĂ€ssigen Zeitgenossen verurteilt. Ich hoffe, dass das Leben auch weiterhin mit mir so geduldig umgeht und mich weiterhin ZuverlĂ€ssigkeit ĂŒben lĂ€sst.

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